Umstiegsberatung in Schleswig-Holstein weiterführen
(Augfrund von Krankheit wurde diese Rede nicht im Landtag gehalten.)
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Kolleg*innen,
es ist wichtig, dass wir hier im Landtag marginalisierte Gruppen nicht aus dem Blick verlieren. Sexarbeiter*innen gehören dazu. 620 Sexarbeiter*innen waren Ende 2021 in Schleswig-Holstein angemeldet, Mitte 2022 waren es ca. 740,
vor der Corona-Pandemie waren etwa 2000 Menschen für den Job angemeldet. 90% sind Frauen, viele kommen aus dem EU-Ausland.
Was bringt Männer und überwiegend Frauen dazu, mit sexuellen Dienstleistungen in die Selbstständigkeit zu gehen? Die Motivationen sind sehr unterschiedlich: Vielleicht will sie oder er nur überbrücken, bis ein anderer Job gefunden wurde. Vielleicht geht es darum die eigene Sexualität auszuleben, die eigenen Arbeitsbedingungen freier zu gestalten. Vielleicht gibt es bei Unionsbürger*innen die Hoffnung auch ohne Ausbildung oder Sprachkenntnisse auf ein gutes Leben in Deutschland. Vielleicht geht es aber auch schlicht darum, irgendwie das eigene Überleben zu sichern und nicht auf der Straße leben zu müssen.
Ich frage mich schon, wieviel Freiwilligkeit im Spiel ist, wenn finanzielle Nöte zur Sexarbeit zwingen? Und dann gibt es natürlich auch die Fälle, in denen Frauen diese Arbeit absolut gar nicht selbstbestimmt tun, sondern hierfür nach Deutschland verschleppt wurden und hier zwangsprostituiert werden. Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ist strafbar gemäß 232 StGB.
Hiergegen muss mit aller Härte und Konsequenz vorgegangen werden. Selbstbestimmte Prostitution aber ist zu akzeptieren. Wir sollten nicht mit dem moralischen Zeigefinger auf Sexarbeiter*innen zeigen. Wer aus freien Stücken ihren oder seinen Lebensunterhalt mit sexuellen Dienstleistungen verdienen will, soll das auch tun können. Viele Sexarbeiter*innen sind als Selbstständige tätig. Sie müssen nach dem Prostituiertenschutzgesetz verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen einhalten und sich eigenständig organisieren.
Das ist besonders für Menschen aus dem Ausland ohne Sprachkenntnisse nicht einfach.
Zur Krankenversicherungspflicht in Deutschland bis zur Unterstützung bei der formalen Anmeldung als Sexarbeitende beim Landesamt für soziale Dienste beraten zwei kompetente Fachstellen in Schleswig-Holstein.
Es gibt eine gesetzlich normierte Beratungspflicht. Sexarbeit ist in Deutschland grundsätzlich legal und gilt als eine „normale Erwerbstätigkeit“. Das ist sie aber nur so lange, Prostituierte auch aus eigener Entscheidung in der Sexarbeit sind. Die Rahmenbedingungen müssen also sicherstellen, dass die Arbeit freiwillig erfolgen kann und dass ein Ausstieg jederzeit möglich ist, wenn man diese Arbeit nicht mehr tun will. Das heißt, dass diejenigen, die freiwillig tätig sind sich jederzeit auch frei entscheiden können müssen aufzuhören – und dazu braucht es professionelle Exithilfe. Also Umstiegsberatung. Lebensumfeld und Job sind in der Sexarbeit nicht selten eng miteinander verwoben, man steigt nicht einfach so in der Sexarbeit aus, wie man einen anderen Job kündigt und wechselt.
Dafür braucht ein Mensch Kraft, Unterstützung und muss sich finanziell anders absichern können. Und außerdem einen sicheren Ort zum Schlafen, damit man nicht auf einen Kunden angewiesen ist und in schwierige finanzielle Abhängigkeitsbeziehungen gerät.
Wir wollen deshalb, dass ein Augenmerk in der künftigen Konzeption auf die Frage von Übergangswohnen gerichtet wird.
Die Mitarbeiter*innen der Umstiegsberatung haben Sexarbeitenden in Schleswig-Holstein die letzten drei Jahre zur Seite gestanden und hat sie kompetent unterstützt.
Die Bundesregierung hat deutschlandweit mit dem Programm AQUA 7 Projekte mit einer Anschubfinanzierung gefördert und eine Evaluation durchführen lassen.
Auch Schleswig-Holstein hat von dem Programm profitiert, Cara SH und das Frauennetzwerk zur Arbeitsmarktsituation erhielten über die Laufzeit 700.000 Euro für den Aufbau dieses spezifischen Beratungsangebots.
Planmäßig ist das Bundesprogramm diesen Sommer nun ausgelaufen.
Die Träger haben uns bereits vor einiger Zeit darauf hingewiesen und seit da an immer den steigenden Bedarf bei den Klient*innen deutlich gemacht.
Hier besteht Fachexpertise, die wir nicht verlieren wollen.
Denn nur wenige Jurist*innen und Berater*innen sind spezialisiert.
Uns ist es durch Umschichtung in diesem Jahr gelungen, die Umstiegsberatung an beiden Standorten in Kiel und Neumünster bis Ende des Jahres weiterlaufen zu lassen.
Unfreiwillige Sexarbeit, genauso wie Zwangsprostitution sind unbedingt zu vermeiden.
Deshalb brauchen wir Anlaufstellen bei Ausstiegswunsch und Übergangswohnen für Hilfesuchende.
Wir bitten die Landesregierung nach Möglichkeiten einer Folgefinanzierung ab 2025 zu suchen und werden uns selbst an dieser Suche intensiv beteiligen.
Viele Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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